Der Mensch ist ein Tragling

Der Mensch ist ein Tragling. Das war schon immer so. Evolutionsbedingt hat sich durch den aufrechten Gang das weibliche Becken verschmälert, während aufgrund des zunehmenden Gehirnwachstums unser Kopf immer größer wurde. Somit musste durch eine Verkürzung der Schwangerschaft sichergestellt werden, dass der Kopf bei der Geburt noch durch's Becken passt. Der Mensch kommt also unreif und damit eigentlich zu früh zur Welt. Man könnte den Menschen somit als physiologische Frühgeburt bezeichnen. Daher ist er zu Beginn auf permanente elterliche Betreuung angewiesen.

 

Dass das Menschenkind ein Tragling ist, zeigen unterschiedliche physiologische Gegebenheiten. Die typsiche Art, in der ein Säugling seine Beine spreizt und anhockt (Anhock-Spreiz-Haltung), der Klammer-Reflex und der Palma-Reflex weisen eindeutig darauf hin. Der Klammer-Reflex ist bei Babys sogar so stark ausgeprägt, dass diese an einer Wäscheleine hängen könnten. Außerdem verfügen Babys über einen Lagereflex. Dieser ermöglicht es ihnen, ihre Lage abhängig von der Art, wie sie gehalten werden, zu ändern. Schon Säuglinge verfügen darüber hinaus über einen guten Gleichgewichtssinn. Ein Baby kann sich dadurch verschiedenen Bewegungen, etwa beim Aufnehmen, Ablegen oder Getragen-Werden, anpassen. Spannend ist auch, dass bei einem Vergleich der Maße eines weiblichen Beckens mit der korrekten Anhock-Spreiz-Haltung eines Säuglings zeigten, dass diese optimal zueinander passen.

 

Wussten Sie, dass ein Tragekind weniger Unruhezustände entwickelt und es außerdem weniger stark unter Bauchschmerzen leidet? Nachdem sich das Baby über die gesamte Schwangerschaft hinweg an ständige Bewegung, Nähe, Wärme, Enge, prompte Bedürfnisbefriedigung und Kontakt zur Mutter gewöhnt hat, ist die Geburt ein einschneidendes und alles veränderndes Ereignis. Dass das Bedürfnis nach möglichst viel Körperkontakt auch nach der Geburt bestehen bleibt, ist wohl kaum verwunderlich. Das Tragen erfüllt dieses Bedürfnis und vermittelt dem Baby außerdem Geborgenheit durch Gewohntes wie Wärme, Enge, Nähe und Bewegung und reduziert damit den "Anpassungs-Schock" an die neue Umgebung.

Unterschiedliche Faktoren tragen dazu bei, dass sich das Baby wohl fühlt. Das Tragen im Tuch erinnert Ihr Baby an die vertraute Zeit im Mutterleib und setzt quasi den Zustand vor der Geburt fort. Es nimmt Geräusche ähnlich wahr, es riecht die Mutter und hört Mamas Atemrhythmus und Herzschlag - ganz so, wie es auch im Mutterleib war. Studien beweisen, dass Tragekinder dadurch eine regelmäßigere Herzfrequenz haben, als Kinder, die im Kinderwagen geschoben werden. Ein Tragekind ist also ein ruhigeres und zufriedeneres Kind.

Ein weiterer interessanter Punkt ist das Thema Schlafen. Viele Babys schlafen vor allem zu Beginn häufig im Tragetuch ein. Das liegt einerseits bestimmt an den oben erwähnten Mutterleib-ähnlichen und damit vertrauten Bedingungen. Andererseits aber auch daran, dass sie im Tuch keineswegs passiv sind. Im Gegenteil. Eine Vielzahl an sensorischer Information in Form von Gerüchen, Geräuschen, taktilen Empfindungen, Bewegungen, etc. stimulieren das getragene Baby. Außerdem wird der Gleichgewichtssinn trainiert und das Baby versucht sich aktiv den Bewegungen der Person, die das Kind trägt, anzupassen. Und das macht natürlich müde. Durch die Bewegungen, die das schlafende getragene Baby wahrnimmt, wird es außerdem immer wieder dazu angeregt, tief durchzuatmen. Und das versorgt das Gehirn mit einer Extraportion Sauerstoff. All diese Umstände fördern in weiterer Folge die intellektuelle Entwicklung des Babys.

 

Erst im 19. Jahrhundert kam durch die industrielle Revolution der Kinderwagen in Mode und verdrängte das natürliche Tragen. Relativ schnell galt der Kinderwagen als Statussymbol und das Tragen wurde als primitiv und ordinär angesehen. Aber die Babys wissen es besser: Selbst der bequemste Kinderwagen kann niemals adäquaten Ersatz für das Getragen-Werden inkl. Körperkontakt bieten.

Auch in unseren Breiten wird das Tragen wieder modern. Mittlerweile hat es  einen In-Faktor erreicht und ist aus dem urbanen Raum nicht mehr wegzudenken. Der Markt wächst und mit ihm auch die Vielfältigkeit an Tragetüchern und Tragehilfen.

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